Antisozialer Schutzwall

von Georg Kasch

Heidelberg, 13. Februar 2017. Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. Aber weil die Kommune am Rande einer chilenischen Stadt immer größere Angst vor den Eindringlingen hat, wird auch diese Variante schließlich ernsthaft in einem Powerpoint-Vortrag erwogen: Maschen- und Stacheldraht, Modell Israel, Berlin, China.

Den Clou allerdings hat sich Germán, in der Kommune Hausmeister, Nachtwächter und überhaupt der Mann für alle Fälle, selbst ausgedacht: eine Mauer, die von Pflanzen überwuchert wird. Ein Biotop, schön und naturnah, sieht aus wie eine botanische Pflanzung, ist aber ein Bollwerk.

Im Vereinssaal der Gemeinschaftsretter

Und zwar ein Bollwerk gegen die Armen, die vom Rande der Gesellschaft, die hier, direkt neben der ökoveganen Kommune, ein neues Sozialwohnungszuhause finden sollen. Ja, sicher, gute Idee, aber "Not in my Backyard", finden die Bewohner. Und damit auch wir. Schließlich sind wir Teilnehmer der Versammlung, auf der die deutschen Experten mit ihrem Unternehmensberatungssprech Optimismus verbreiten sollen. Hier, im Vereinssaal mit seinen vertäfelten Wänden, an denen Memorabilia hängen, vergilbte Einwanderer-Fotos, Rehkitze aus Porzellan, ein Quilt-Transparent: "Salvamos la communidad" – wir retten die Gemeinschaft. Fragt sich nur welche.

Schön böse und entsprechend witzig spitzt Autor Juan Pablo Troncoso in seinem Stück den Konflikt der selbstsüchtigen Bildungselite zu. Denn natürlich ist die konkrete Geschichte um eine Gemeinschaft, die angesichts der Bedrohung die humanistische Maske fallen lässt und im Egoismus einen neuen Zusammenhalt findet, eine Parabel auf so viele Baustellen gerade: auf Trumps Anti-Mexiko-Mauer ebenso wie auf die europäische Abschottung Richtung Mittelmeer. Ist das Boot wirklich voll? Haben wir Angst davor, dass die Anderen unseren ausdifferenzierten Lebensstil verändern? Oder wollen wir nur nicht teilen?

Alle wieder unter sich

Rasant erzählen Nicolás Espinoza und Laurène Lemaitre die Geschichte von bröckelnden Werten. Beispielhaft verknüpfen sie in dieser Kooproduktion des chilenischen Colectivo Zoológico und dem Theater Heidelberg spanische und deutsche Passagen, wird die Sprachbarriere Teil der Inszenierung (und zugleich übertitelt). Obwohl die vier chilenischen und zwei deutschen Schauspieler ihre Rollen mit Verve karikieren, interessieren diese Figuren: die pathetische Emotionale Viviana Nass’, der Revoluzzer-Choleriker José Manuel Aguirre Carvajals, dazu Nicole Averkamps entschlossene Krisenmanagerin und Martin Wißners angespannt sich in ihrem Schatten profilierender Assistent.

Einzig der treue Diener Germán Pinillas, der die Herablassung seiner Umwelt an sich abprallen lässt und dennoch zu ihrem glühendsten Verteidiger wird, ist wahrhaft menschlich angelegt in all seiner Widersprüchlichkeit. Dass er am Ende zum Opfer des zynischen Natur-Happy-Ends wird, ist nur folgerichtig: Der ausgetrocknete Fluss, in dem gebaut werden sollte, wird zum Strom und reißt nicht nur die Sozialsiedlung mit sich, sondern auch Germán, der am Rand der Kommune wohnte. So ist die Öko-Bildungsbürger-Klasse am Ende wieder ganz unter sich – ohne sich die Finger oder das Gewissen schmutzig gemacht zu haben.

 

Not in my backyard
Uraufführung - Eine Koproduktion des Colectivo Zoológico mit dem Theater und Orchester Heidelberg
mit deutschen Übertiteln
Regie: Nicolás Espinoza und Laurène Lemaitre, Bühne und Kostüme: Laurène Lemaitre, Text: Juan Pablo Troncoso und Colectivo Zoológico, Video: Pablo Mois, Licht: Hartmut Horn, Dramaturgie: Sonja Winkel, Produktionsleitung: Colectivo Zoológico Paula Pavez.
Mit: José Aguirre, Nicole Averkamp, Viviana Nass, Germán Pinilla, Juan Pablo Troncoso, Martin Wißner.
Dauer: 1 Stunde 40 Minuten, keine Pause

http://www.theaterheidelberg.de/produktion/not-in-my-backyard/

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