Notwendiger Luxus

von Janis El-Bira und Georg Kasch

Heidelberg, 20. Februar 2017. Aus, vorbei: Zum Abschluss von ¡Adelante! chatten Janis El-Bira und Georg Kasch über Überraschungen, Erkenntnisse und Lieblingsproduktionen aus neun Festivaltagen.

[19.02.17, 18:27:59] Georg Kasch: Janis, mich hat das Finale von ¡Adelante! ziemlich überrascht. Dich auch?

[19.02.17, 18:30:50] Janis El-Bira: Insofern, als dass sich zum Schluss tatsächlich so etwas wie eine Festival- oder Spielplandramaturgie ergeben hat, auf jeden Fall. Ganz zum Schluss wurde mit dem spanischen Beitrag „A House in Asia“ ja sogar der Theaterbegriff an sich erstaunlich weit gefasst. Das war ein weiter Weg, wenn man sich demgegenüber einige der sehr viel mehr klassischen Produktionen aus der ersten Festivalhälfte anschaut.

[19.02.17, 18:32:58] Georg Kasch: Auch thematisch und geografisch nahm das Festival noch mal eine andere Richtung – mit "Sobre la teoría..." weg von den Staatsgebieten der eingeladenen Länder und mit "A House in Asia" in die USA, nach Jordanien und Pakistan. Beides waren Produktionen, wie sie problemlos auf deutschen Theaterfestivals laufen könnten.

[19.02.17, 18:36:25] Janis El-Bira: Ja, „Sobre…“ und „A House in Asia“ zählten fraglos zu den am stärksten an internationalen Performance- und Theaterstandards geschulten Arbeiten. „Un Poyo Rojo“ gehörte sicherlich ebenfalls dazu und auch der wirklich tolle kolumbianische Beitrag „Los incontados“. Obwohl letzterer der Einzige unter denen ist, der tatsächlich auch explizit die Verhältnisse im eigenen Land thematisiert.

Hoher Ernst, ironische Brechung

[19.02.17, 18:39:57] Georg Kasch: Insofern hat das Festival insgesamt eingelöst, was mehrere Theatermacher, aber auch Federico Irazábal in seinem Essay immer betont haben: Dass es kein zusammenhängendes kulturelles Ganzes namens Lateinamerika gibt. Sondern auf der einen Seite Länder wie Argentinien, Chile, Kolumbien und Uruguay, die nah dran sind an den aktuellen Entwicklungen und offensichtlich auch wirtschaftlich und politisch gerade ziemlich stabil sind. Und auf der anderen Seite Länder wie Kuba, Mexiko und Peru, wo Theater anscheinend noch handfester politisch wirkt.

[19.02.17, 18:45:50] Janis El-Bira: Unbedingt. „Sobre la teoría…“, an dem ich unglaublich viel Spaß hatte, fand ich da zum Beispiel gerade im Kontrast zum peruanischen Beitrag „La cautiva“ sehr interessant. Bei „Sobre…“ scheint schon alles ein großer, greller Witz zu sein, worum in „La cautiva“ oder auch in der mexikanischen „Antigone“ noch gerungen werden muss. Auf der einen Seite die Anspielung und ironische Brechung, auf der anderen das Ausbuchstabieren, der hohe Ernst und das Erklären. Beeindruckend, dass das hier beides vorkam.

[19.02.17, 18:48:45] Georg Kasch: Ja, im Rückblick werden so auch die Abende, die mich beim Zuschauen eher ratlos machten, befremdeten, zu wichtigen Erfahrungen. Weil sie in ihrem Unfertigsein auch etwas über die Gesellschaft im Umbruch erzählen. Insofern kann ich nur noch mal sagen, dass es zwar eine schöne Erfahrung war, die Einzelkritiken zu schreiben, dass sie aber einigen Abenden nur bedingt gerecht werden konnten.

Was ist Original, was Kopie?

[19.02.17, 18:49:22] Georg Kasch: Das einzige, was sich im Rückblick wirklich durch alle Abende zieht, ist die Theatermetapher, das Spiel im Spiel, die Bühne auf der Bühne.

[19.02.17, 18:52:39] Janis El-Bira: Das kam tatsächlich praktisch überall vor. In unterschiedlicher Ausprägung zwar, aber durchgehend. Aber auch da interessant: In „Antigone“ ist das Theater der Ort der Aufklärung, hier sogar der reinen Wahrheit, in „La cautiva“ ein Fluchtort, an dem die Freiheit der Fantasie ihren einzigen Ort hat. In den spanischen, costa-ricanischen und uruguayischen Beiträgen gibt’s dagegen Witze auf Kosten des Theaters oder Meta-Reflexionen zum Verhältnis von Schauspieler und Rolle / Figur. Da zeigt sich im Zusammenschnitt vielleicht: Theater ist ein Luxus, aber ein notwendiger.

[19.02.17, 18:54:24] Georg Kasch: Und in Spanien ist das Verhältnis der Bühnen und Medien derart verschachtelt, das man kaum mehr sagen kann, was Original ist und was Kopie. Was einerseits das Thema des Abends wunderbar reflektiert, andererseits aber typisch für das europäische Theater ist – lieber einmal zu viel um die Ecke gedacht als einmal zu wenig.

 Organisatorische und logistische Glanzleistung

[19.02.17, 18:55:41] Janis El-Bira: Das war im spanischen Beitrag mit Sicherheit am stärksten ausgeprägt. Das hätte zum Teil auch einfach eine Arbeit von Rimini-Protokoll sein können.

[19.02.17, 18:58:27] Georg Kasch: Apropos Luxus: Das gilt auch für das Festival selbst. Das Theater Heidelberg hat für fast alle Produktionen die Bühnenbilder nachgebaut, für mehrere Abende Statisten gestellt, zwei Jahre lang vorbereitet. Was für ein Aufwand! Und dennoch: Wenn ich daran denke, wie diese Tage vibrierten, wie viel wir erfahren haben, wie emphatisch das Publikum oft reagierte, wie neugierig es war, aber auch, mit welcher Ausdauer die Theatermacher*innen selbst die Inszenierungen der Kolleg*innen besuchten – dann war der Luxus notwendig.

[19.02.17, 19:05:03] Janis El-Bira: Das war auf jeden Fall eine organisatorische und logistische Glanzleistung, keine Frage. Wobei man ja festhalten könnte - ohne das irgendwie zu schmälern - dass etliche der Bühnen erst einmal ziemlich karg daherkamen. Ich würde mal behaupten, dass das nicht in allen Fällen ausschließlich auf Finanzierungsproblemen beruhte, sondern bewusst gesetzt war. Die Schauspieler standen doch bei den meisten Abenden im Vordergrund und das vor allem: als Ensemble. Es gab kaum hervorstechende Einzelleistungen in dieser Hinsicht. Auch das scheint mir eher Methode als Mangel zu sein.

An das Pathos glauben

[19.02.17, 19:06:56] Janis El-Bira: Dazu gehörte auch, dass sich das Regieteam, obwohl anwesend, nach den Vorstellungen nie vor dem Vorhang zeigte. Den Applaus überließ man ganz den Schauspielern. So, wie wir das kennen, dass alle auf die Regisseurin warten, ist das eben doch eine sehr europäische Sache.

[19.02.17, 19:09:54] Georg Kasch: Man bekam auch in den Gesprächen stärker als bei uns den Eindruck, dass die Inszenierungen Teamwork waren, selbst wenn einzelne Namen dafür verantwortlich zeichneten. Das gilt auch fürs Spiel: Selbst wenn da ein Pathos herrschte, das mir auf den Magen schlug mit großen Gesten und Worten, wurde es doch immer mit entsprechender Emphase untermauert und in gewisser Weise auch beglaubigt. Weil die Spieler in dem Moment dran glaubten.

[19.02.17, 19:11:00] Georg Kasch: Das machte – neben der krassen Geschichte – zum Beispiel "La cautiva" so stark, die trotz ihres pathetisch überhöhten Realismus zu den beeindruckendsten Produktionen gehörte.

Nicht nach dem Gegner gucken

[19.02.17, 19:13:48] Janis El-Bira: Ja, für mich auch. Der Abend war mit sich ganz im Reinen, behauptete eigentlich immer: Das sind unsere Theatermittel, an die glauben wir. Und dabei war das - zumindest habe ich das nicht so wahrgenommen - gerade keine bewusste Abgrenzung gegenüber anderen Spielarten, sondern nur bei sich. Beim Fußball würde man sagen: Haben ihr Spiel durchgezogen und nicht auf den Gegner geguckt. In den meisten Fällen geht sowas ja gut. Hier auch.

[19.02.17, 19:14:50] Janis El-Bira: Wo wir schon bei den stärksten Eindrücken sind. Was waren deine Highlights? Was würdest du glattweg nochmal anschauen wollen oder ihm wünschen, dass es auch andernorts gezeigt würde?

[19.02.17, 19:18:37] Georg Kasch: Unbedingt "Un Poyo Rojo". Das möchte ich sofort noch mal sehen und alle meine Freunde reinschicken.

[19.02.17, 19:18:57] Georg Kasch: Außerdem "Sobre la teoría..."

[19.02.17, 19:19:13] Georg Kasch: Und "Los incontados" kommt ja eh nach Berlin.

[19.02.17, 19:20:21] Georg Kasch: Aber eigentlich will ich auch "Donde viven los Bárbaros" noch mal sehen und hoffe, dass der starke Text nachinszeniert wird.

[19.02.17, 19:22:02] Janis El-Bira: Da kann ich vieles mitgehen. Ich hatte die durchgängigste Freude an "Sobre la teoría…", das anregendste ästhetische Erlebnis bei "Los incontados" und war von "La cautiva" am meisten berührt. Das würde ich alles noch mal anschauen. Egal wo, aber für die Künstler am liebsten dort, wo sie am besten dafür bezahlt werden.

..