Weltreich, Randstaat, Indrustrienation 

Es gäbe dieses Festival nicht, wahrscheinlich nicht einmal den Begriff iberoamerikanisch ohne den über Jahrhunderte währenden Einfluss Spaniens vor allem in Südamerika. Vom frühen 16. bis zu den Umbrüchen der Napoleonischen Kriege im 19. Jahrhundert reichte die zeitliche Ausdehnung des spanischen Weltreichs. Dabei exportierte die spanische Krone nicht nur die Sprache, sondern vor allem auch die christliche Religion katholischer Konfession und das System europäisch geprägter Feudalherrschaft in die neuen Kolonien.

Mit dem Zusammenbruch des Kolonialreichs und der Niederlage im Spanisch-Amerikanischen-Krieg von 1898 mehrten sich auch auf der iberischen Halbinsel die Konflikte. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das einst mächtigste Land der Erde ein rückständiger Agrarstaat, dessen Industrie sich vor allem auf das Baskenland und Katalonien im Norden konzentrierte – zwei Regionen, die mit ihren Unabhängigkeitsbestrebungen die spanische Regierung bis heute vor große Herausforderungen stellen. Die wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes ebneten schließlich den Weg für die monarchistische, dem Faschismus nahestehende Diktatur des Generals Francisco Francos von 1939 bis zu dessen Tod 1975 – eine einschneidende Epoche in der spanischen Geschichte, die das Land zum Teil bis auf den heutigen Tag spaltet.

Erst nach dem Tod Francos begann unter König Juan Carlos I. der langsame Übergang zur Demokratie und parlamentarischen Erbmonarchie. Heute zählt Spanien wieder zu den größten Industrienationen der Welt, seine Gesellschaft ist seit den Finanz- und Wirtschaftskrisen des frühen 21. Jahrhunderts gleichwohl geprägt von einer weiten Arm-Reich-Schere, Massenarbeitslosigkeit und teilweise geringen Perspektiven für die Jugend. Dennoch ist Spanien gegenwärtig das drittmeistbesuchte Land der Erde – der Tourismus zählt zu seinen Hauptwirtschaftsfaktoren. Neben dem großen Kulturangebot vor allem in den Metropolen Madrid und Barcelona mit ihren weltberühmten Museen, Theatern und Konzerthäusern und den historischen Stätten stehen auch die vielfältige Schönheit der spanischen Natur und die kulturellen Eigenarten seiner Regionen im Fokus des Tourismus.

Die kulturellen Einflüsse, die von Spanien ausgingen und ausgehen, sind zahllos. Im sogenannten Siglo de oro setzen die literarischen Großmeister Miguel de Cervantes, Tirso de Molina, Lope de Vega und Pedro Calderón de la Barca ebenso Maßstäbe wie die Maler Francisco de Zurbarán, Diego Velázquez und Bartolomé Esteban Murillo. Später beeinflussten Francisco de Goya, Pablo Picasso, Joan Miró und Salvador Dalí ganze Schulen und Strömungen. Ähnliches gilt für Architekten wie Antoni Gaudí und Santiago Calatrava, für Filmemacher wie Luis Buñuel und Pedro Almodóvar. Was wäre das europäische Theater ohne die Dramen von Federico García Lorca? Auch die Gruppe La Fura dels Baus und die Autorregisseure Rodrigo García und Angélica Liddell haben sich weltweit als Exportschlager erwiesen.